Draußen bei den Menschen

Autor: hella
Honi soit ... (Foto: hella, Marktplatz, 11. Mai 2011)

Honi soit ... (Foto: hella, Marktplatz, 11. Mai 2011)

Draußen bei den Menschen sind sie wieder, die Parteimitglieder, um für ihren Verein zu werben. Die beiden auf dem Foto tun das lieber nicht im Viertel; denn das Viertel ist rotgrün. Doch so manche, die dort rote Kugelschreiber und grüne Luftballons verteilen, sind mir nicht sehr viel sympathischer als das Fußvolk der CDU. Die beiden auf dem Foto schraken schon zusammen, als zwei Rentnerinnen bemerkten, unsere Kanzlerin sehe aber anders aus, sie wirke so fremd auf dem Plakat, und als ich den Omis von Photoshop erzählte. Das wollten die Wahlhelfer nicht hören. Sie schwiegen und sie trollten sich.

Auch bei Wahlhelfern der Parteien links von CDU und FDP vermisse ich das Bestreben, mit dem Volke ins Gespräch zu kommen. Ja, man müsse zuhören, sagte mir am letzten Sonnabend eine SPD-Genossin. Aber nicht den Rechten, ergänzte sie emphatisch. Und warum nicht? Weil, so sprang ihr ein Genosse bei, „die Lösungen“ der  Rechten völlig indiskutabel seien. Dabei sah er mich strafend an, so’n büschen von oben herab, als wäre ich ein Hundehaufen mitten auf der Straße, und ganz so wie beim Thema European Song Contest, das ich zuvor erwähnt hatte, um seine Volksnähe zu testen. „Sowas seh ich mir nicht an“, sagte er. „Sowas interessiert mich nicht.“

Nun war ich also eine, mit der zu diskutieren zwecklos ist, eine dumme Deutsche, die den ESC kuckt und ein Fraß für Populisten ist; und also zog ich weiter zum Stand der grünen Nachbarn. Die Grünen und die SPD seien neoliberal geworden und bräuchten, sagte ich, immer wieder mal Tritte von der Linkspartei; woraufhin ich zu hören bekam, daß dort jemand einen Porsche fahre. Kaum daß ich den Namen dieses Politikers nannte, mit dem Zusatz, daß der Porsche nichts gegen das Parteiprogramm besage, zuckte der Grüne zusammen und wandte sich ab. „Was sind das für Argumente?“ raunte mir ein Bürger zu, der schon lange die Linkspartei wählt, weil er sie für das kleinste Übel hält. Mir ist dieser Bürger schon seit 20 Jahren bekannt und noch immer sehr sympathisch, obwohl er ein Beamter ist und stets sehr teure Kleidungsstücke trägt. Vielleicht fährt er sogar ein teures Auto. Aber das ist mir egal. Ich glaube nämlich nicht, daß alle Armen von Natur aus edler sind als Reiche. Und ich traue keinem, der Vielfalt predigt, aber Einfalt praktiziert, indem er sagt, er sei gegen Rechts. Solche sonderbaren politischen Bekundungen erinnern mich immer wieder an die Mentalität der Herrschenden im deutschen Kaiserreich. 1890 untermauerte der Berliner Polizeipräsident Bernhard von Richthofen das Aufführungsverbot des Stücks Die Weber von Gerhart Hauptmann mit dem berühmten Satz: „Die janze Richtung paßt uns nich.“ Und 2011 schreibt Jakob Augstein in seiner Kolumne Im Zweifel links: „Außer den Grünen sind alle deutschen Parteien mit dem rechten Virus infiziert.“

Man stelle sich den Aufschrei vor, der jetzt durch die Medien ginge, hätte ein Rechter im Parlament gesagt, alle Parteien außer seiner seien „mit dem linken Virus infiziert“. Empörung allerorten über diese Wortwahl und alles, was dahintersteckt. Doch wird die Metaphorik dadurch menschenfreundlicher, daß sich ein Grüner ihrer bedient? Ich kann das nicht erkennen. Je nun; vielleicht bin ich ja auch schon mit dem rechten Virus infiziert, so daß man mich unter Quarantäne stellen müßte, um den gesunden deutschen Volkskörper zu schützen.

Es liegt nicht nur am Regen, der jetzt über Bremen niedergeht, daß ich mich draußen bei den Menschen immer mulmiger fühle, ganz besonders dann, wenn sich diese Menschen für ganz besonders gute Menschen halten und sich so aufführen wie jene hochneurotischen Eltern, die da meinen, sie müßten pausenlos über ihre Kinder wachen, damit diese nur ja nicht mit brauner Scheiße in Berührung kommen. Die nämlich gibt es überall. Nicht nur die Rechten sind voll davon, sondern auch die Linken und alle, die dazwischenstehen und die in diesem Text nicht sichtbar sind, weil ich es versäumt habe, den Gender Gap zu setzen. Ich hatte einmal einen Deutschlehrer, und der hat es auf den Punkt gebracht: „Auch die schönste Frau muß mal aufs Klo.“

Ich füge hinzu: Aber auch die schönste Frau darf nicht draußen bei den Menschen ihre Notdurft verrichten. Sie sollte es an einem stillen Örtchen tun. Das gleiche gilt für die geistige Notdurft. Jeder Mensch muß sich erleichtern, und das jeden Tag. Frißt er alles in sich hinein, ohne es wieder von sich zu geben, wird er unweigerlich krank. Nur muß er es vorher verdauen. Schon der Apostel Paulus schrieb (1 Thess 5, 21): „Prüfet aber alles, und das Gute behaltet.“ Doch was ist das Gute und das Böse, das wir nach dem Rat des Paulus meiden sollen, und zwar „in jeder Gestalt“?

Jakob Augstein schien das ganz genau zu wissen, als er seine Kolumne schrieb. Ich hingegen weiß es nicht genau. Doch ich ahne, weshalb Salomo einst predigte (1 Pred 3,15): „Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch  schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.“

Das nämlich befürchte ich auch, wenn ich da draußen bei den Menschen bin und höre,  wie sie die Bremer und die ganze Menschheit retten wollen.  Auch hierzu fällt mir stets ein Spruch aus der Bibel ein (Matth 7,15): „Sehet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“

Wo aber sind die richtigen Propheten? Mir ist noch nie einer begegnet, nicht einmal in der Bibel. Goethe hat einmal sehr schön gesagt, weshalb es keinen geben kann: Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren. Und Karl Kraus hat angesichts des Elends seiner großen Zeit allen Menschen empfohlen: Wer etwas zu sagen hat, der trete vor und schweige!

Bevor ich das gleich tun werde, will ich noch mal eben zitieren, was Vicco von Bülow sagte, bevor sein großes Schweigen begann:

SPIEGEL: Wen wählten Sie bei der letzten Bundestagswahl?

Loriot: Habe ich vergessen.

„_“

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One Response to “Draußen bei den Menschen”

  1. knoxx sagt:

    ach, tut gut zu lesen Hella..///DU Gutmensch DU.i. E…juchhu…///wenn einer smalltalkmässig mich als „Gutmensch“ bezeichnet und dass irgendwie herabsetzend ätzend meint..dann ist er für mich schon ein DEPP–dudabdidubdabdab….Ob wohl ich ja auch ein grüner bin.-.haha“Bremens bekannteste Grünfläche“ siehe das neue Magazin“viertel-life“..//ist übrigens mal wieder ein ganz idealistischer Versuch..ein neues blatt zu etablieren abseits von brmen magazin, prinz und bremer..-. finde ich deine Politschelte in Ordnung…..
    ///treibe mich viel zuviel bei fb rum,..diese zeitdiebe..

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