Kein Biotop für Gunnar Heinsohn?

Autor: knoxx

Unser geschätzter Viertelmitbürger Gunnar Heinsohn scheint jetzt unversehens zur Zielscheibe einer gewissen „pc-Fraktion“ geworden zu sein. Die Initiative „Montagsdemo“ hat ihn gar angezeigt, weil er HartzIV-Bezieher verumglimpft hätte – ein Straftatsbestand der Volksverhetzung. Nun, Gunnar Heinsohn, einer der allerletzten Exponenten einer mal „rote Kaderschmiede“ genannten Bremer Universität, wo einstmals gemeinsames Lernen und Forschen, studentische Mitbestimmung und Interdisziplinarität „erfunden“ wurden, ist für seine unkonventionellen Gedanken bekannt. Die prä-Bolognazeiten muten heutzutage wie eine ferne Idylle an, betritt man die heutige Lernfabrik auf der grünen Wiese. Leider konnte ich Gunnar noch nicht persönlich befragen, aber ich kenne ihn als eloqueten Querdenker, ohne Scheuklappen. Und nun wird er in einen Topf mit Guido Westerwelle und anderen Neoliberalen geworfen, dort wo auch der unverschämte Sarrazin hingezählt wird?

Ich fand sein Buch „Menschenproduktion“ und die damit einhergehenden Thesen sehr interessant und bewußtseinserweiternd, aha ein unkonventioneller Denker. „Söhne und Weltmacht“ habe ich mir zuletzt geholt – die Thesen rund um den sogenannten „youth bulge“ sind verführerisch simpel und laden zur ungeprüften Übernahme geradezu ein. Es gibt in gewissen Gegenden einfach zuviel ungebildete, hungrige junge Männer, das ist die tickende Bombe, die unsere nord-westlich-europäische Zivilisation bedroht. Das impliziert eine Bevölkerungssteuerung mittels Geburtenkontrolle, notfalls Zwangssterilisation und einen Ausbau der „Festung Europa“. Nun beschreibt Heinsohn in seinem Aufsatz über die ausufernde Kinderproduktion von HartzIV -Beziehern, wie die dummen Armen immer mehr dumme und somit gewalttätige Kinder in die Welt setzen würden. Eindrucksvoll sind die Zahlen von Bremerhaven allemal, sie scheinen die fortschreitende Abspaltung eines Teiles unseres Bevölkerung zu untermauern. Doch in einem irrt er sehr, verwechselt er Ursache und Wirkung. Die Integration misslingt nicht in vielen Fällen, weil „man“ es sich mit HartzIV und Kinderproduktion gemütlich eingerichtet hat, sondern weil die Programmatik von „Fördern & Fordern“ von Anfang an nie ernsthaft betrieben wurde; bis in die 90er hinein war Deutschland doch selbstverständlich kein „Einwanderungsland“. Es geht nachwievor um Abgeben und Teilen, bei Arbeit und bei Kapital. Deutschland ist in Europa ein Niederiglohnland, der öffentliche Sektor wurde krank gespart, zugunsten einer Umverteilung von unten nach oben. Diese neoliberale Entwicklung seit 1994, die gilt es im Blick zu behalten. Und die „Demographie“ ist auch nur ein Thesenmodell, um komplexe gesellschaftliche Vorgänge zu durchleuchten.

Ich denke, Heinsohn wollte mal ein bischen provozieren, und das ist ihm dankenswerterweise auch gelungen. Es ging ihm nicht um HartzIV-Bezieher-bashing, sondern um die Gefahren, die konkret heraufziehen, wenn man eine ganze Bevölkerungsgruppe nur mehr administrativ und alimentär wahrnimmt. Ich würde z.B. Kindergeld und HartzIV-Bezug konkret an aktivgestalteten Kindergarten- und Schulbesuch koppeln. Der Vorschlag von Heinsohn, HartzIV zeitlich zu begrenzen, ist außerdem schon deswegen ummöglich, weil er sehr viele unverschuldet(!) Langzeitarbeitslose trifft, die zu „alt“, nicht mehr brauchbar für den Produktionsprozess sind. Die Demographie reicht als Wissenschaft beileibe nicht aus, die stattfindenden gesellschaftlichen Wandelungsprozesse korrekt abzubilden und zu interpretieren. Und als letzte Anmerkung, zum Beispiel „USA“, wenn Heinsohn in seinem Aufsatz die “Clintonsche Sozialpolitik” mit ihren Streichungen lobend erwähnt, vergisst er, wie viele Illegale in den USA leben und wie viele Menschen dort inhaftiert sind – das dürfte nicht unterschlagen werden, sonst bleibt es nur „Klassenkampf von oben“.

Frage der Woche: Wem nützt die aktiv betriebene Spaltung der Gesellschaft durch Ausgrenzung einer – sogenannten Unterschicht? Die sogenannte Mittelschicht blutet wegen der Finanzkrise, nicht wegen einiger oft bemühter „HartzIV-Schmarotzer“, das müsste endlich klar sein.

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