Wer im Glashaus sitzt …

Autor: hella
Glashaus

Gesehen im Glashaus Schildstraße am 29.10.2010 (Foto: hella)

Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Das ist allgemein bekannt. Doch in Vergessenheit geraten ist offenbar, daß man im Glashaus auch nicht mit Gläsern werfen sollte. Wie anders sollte das absolute Glasverbot im Glashaus Schildstraße zu erklären sein? Ich weiß es nicht. Aber ich bin alt genug, um zu wissen, daß es derlei Verbote früher im Viertel nicht gegeben hat. Auch während der 60er Jahre waren Gläser in Glashäusern noch nicht verboten. Doch damals herrschten ja auch noch andere Sitten. Die Deutschen waren germanisch-grob. Inzwischen aber sind sie ein zivilisiertes Volk und erfreuen sich wie die anderen Völker des freien Westens einer noch nie dagewesenen Kultur, vor allem dank der Partei Die Grünen, die in diesem Jahr ihren 30. Geburtstag feierte, ganz so wie das Lagerhaus. Und was könnte aus diesem Anlaß angemessener sein als ein neues Verbot zur Feier jener Kultur, die mit den Grünen über uns kam und uns das Wort Verbotskultur beschert hat und mit ihm allerlei Menschen, die so kultiviert sind, daß sie schon Migräne bekommen, wenn sie das Wort Alkohol, Fleisch oder gar Tabak hören. Das klingt und stinkt so fürchterlich nach Unterschicht oder auch nur nach jener Zeit, als Joschka noch ein Menschenfischer war und das Lagerhaus noch voller Freaks. Wo sind sie geblieben?

Gestern, als ich im Lagerhaus war, habe ich keinen gesehen. Überall nur alte oder mittelalte Leute, die mir seltsam fremd vorkamen, seltsam ratlos und bedrückt in ihrem Leutemief. 30 Jahre Lagerhaus, 30 Jahre Grüne; doch was ist von der alten Zeit geblieben? Hoffnung und Aufbruchstimmung so wie damals habe ich nicht spüren können, auch keine Betroffenheit und keine Wut im Bauch. Doch das wunderte mich nicht. Wer in diesen Kreisen noch unermüdlich von Freiheit spricht, der meint in aller Regel nicht die Freiheit, die er früher einmal meinte, ja nicht einmal mehr Gedankenfreiheit, sondern nur noch Rauchfreiheit bis hin zur Freiheit von allen Lastern. Und was als Laster zu betrachten ist, das erfahren wir inzwischen von den Priestern der neuen Arbeits- und Gesundheitsreligion. Sie wollen uns nicht nur bis unter die Bettdecke kontrollieren. Sie wollen den gläsernen Neo-Spießer. Und deshalb freuen sie sich über alle, die sich freiwillig ins Glashaus setzen, um darin aller Welt zu demonstrieren, daß sie nichts zu verbergen haben. Oder etwa doch?

In den Zeiten der Alkoholprohibition war es Usus, die verbotenen Getränke aus den verräterischen Glasflaschen in unverdächtig wirkende Gefäße umzufüllen. Wird im Lagerhaus vielleicht schon, ohne daß ich etwas davon mitbekommen hätte, der zivile Ungehorsam gegen jene geprobt, die uns Wasser predigen, aber heimlich Wein trinken? Das würde mir gute Laune machen. Denn ein Haus wie das Lagerhaus sollte keinesfalls zum Verbotskulturzentrum mutieren.

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One Response to “Wer im Glashaus sitzt …”

  1. knoxx sagt:

    Danke Hella, da ist was dran,….Wir waren in „unserer Nische“ schon etwas weiter..Hmmm?..ich bin dabei ja noch immer /trotzdem Mitglied dieser Partei…und ich will es auch bleiben,…..denn bei allen Abstrichen dort sehe ich immer noch eher Platz für meine Visonen und Utopien einer alternativen,(ökologisch orientierten)gesünderen, repressionsfreien, weniger konsumorientierten Gesellschaft…,die u.a.natürlich auch das Menschenrecht auf Rausch beeinhaltet, solange es nicht andere schädigt oder Jugendliche und Kinder betrifft! Das absoolute Rauchverbot ist in unserer Partei auch sehr umstritten, obwohl es da schon etliche FanatikerInnen gibt, die nie nie ins Brazil,Schänke, Haifischbecken etc gehen würden..UNS aber trotzdem reglementieren wollen…..

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