„Come on and schtink“

Autor: hella

Wer kennt ihn noch, diesen Kalauer, der in den Sandkisten umging, als die Rattles in die Kinos kamen? Wohl nur, wer seine Kindheit nicht vergessen hat.

Ich habe meine Kindheit nicht vergessen. Ich weiß noch, wie die Rattles 1965 und 1966 klangen, und deshalb auch fühlte ich mich gestern völlig fehl am Platz, als ich aus geschäftlichen Gründen (darüber vielleicht einmal mehr; in ein paar Monaten) Errorhead auf der Breminale sehen wollte und die Rattles bereits spielten. Aber wie?

Wow! Das rockt! (Foto: hella)

Wow! Das rockt! The Rattles auf der Breminale 2010 (Foto: hella)

Sie hatten Spaß an ihrer Darbietung, das ältliche Publikum wogte im Takt, Uschi Nerke ward gefeiert als „die Queen of Rock’n’Roll“, und Jörg Sonntag (den ich im Schulbus stets damit genervt hatte, er sehe aus wie Amos Burke) schien tatsächlich gerührt zu sein, nachdem er wieder einmal It’s All Over Now, Baby Blue gehört hatte: „Sooo gefühlvoll!“

Ich hingegen fühlte mich mal wieder völlig fehl am Platze und schlich gramgebeugt davon. What a drag it is getting old. Was für eine Quälerei, das Wunschkonzert zu hören: ob vor 45 Jahren Willy Schneider mit Man müßte nochmal 20 sein oder eine R

Can't you see the witch? Uschi, der Elternschreck von einst. (Foto: hella)

Can't you see the witch? Uschi, der Elternschreck von einst. (Foto: hella)

entnerband, die Imagine spielt. Stellt euch doch einmal vor, unsere Nationalelf von 1966 träte jetzt gegen junge Spieler an. Kein alter Fußballfan, der noch bei Sinnen ist, würde das goutieren. Doch die meisten Beat- und Rockfans der 60er und 70er Jahre ticken völlig anders. Sie wollen immer wieder ihre alten Helden sehen, die nun durch die Festzelte tingeln wie einst die Tonfilmschlagersänger durch den Blauen Bock und ihnen das Gefühl vermitteln, manch ein Jugendtraum wäre in Erfüllung gegangen. Dies nicht ganz zu Unrecht; denn inzwischen haben wir einen Bundespräsidenten, der sich sympatischerweise schon beim Amtseid verhaspelt, und eine First Lady mit einem Tattoo am rechten Oberarm, so wahr uns Gott helfe. Kurz und im Phoenix-O-Ton: „Ein Hauch von Kennedy, der durchs Land weht.“

Den Soundtrack dazu lieferten gestern die Rattles, und alle Alten, die ich sah, fühlten sich so jung wie damals, als ich schon völlig out of time war, weil ich Pet Sounds von den Beach Boys hörte, während Achim Reichel angesichts seiner drohenden Einberufung zur Bundeswehr röhrte: Trag es wie ein Mann. Und er scheint es wie ein Mann zu tragen, daß er nicht mehr 20 ist. Deshalb wirkt er, wenn er mit seinen 65 Jahren zu Klampfe, Geige & Akkordeon deutsche Balladen aus dem 19. Jahrhundert singt, anstatt noch mit 40 den wilden Mann zu markieren und damit bestenfalls ein Seniorenheim zum Schunkeln zu bringen und zu enden wie Mick Jagger: als Karikatur seiner selbst und der 60er Jahre. Johnny Cash war klüger. Mit seinen letzten Tonträgern hat er sich als einer der wirklich wahren Rock’n’Roller erwiesen. Denn echte Rock’n’Roller wissen: in der Ruhe liegt die Kraft.

Doch das wird der größte Teil des Publikums und auch der meisten, die sich aktiv am Rock’n’Roll versuchen, wohl niemals begreifen. Die meisten wollen nichts als Spaß, auf der Bühne oder vor der Bühne. Was geboten wird, soll so erfrischend sein wie ein Pfefferminzkaugummi und so bunt wie eine Tüte Gummibärchen.

>i>Memories are made of this ... Jörg Sonntag und Herbert Hildebrandt (Foto: hella)

Memories are made of this ... Jörg Sonntag und Herbert Hildebrandt (Foto: hella)

Die Rattles haben es gestern mit ihrem Publikum geteilt. Ich aber fand keinen Geschmack daran, so wie ich wohl auch keinen daran finden werde, wenn Fehlfarben am Sonntag spielen und all jene zu sich locken werden, die nur müde lächeln können, wenn sie an ihre Eltern und die Rattles denken oder gar angewidert an ihre eigenen Kinder und deren Vorliebe für Rammstein.

Was mich betrifft, so schätze ich alles, doch alles zu seiner Zeit. Die Zeit der Rattles ist vorüber, und die LP Monarchie und Alltag war vor 30 Jahren neu. Doch Zeilen wie Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat oder Ich kenne das Leben, ich bin im Kino gewesen sind noch immer aktuell, ja sogar aktueller denn je. Wer das nicht glaubt, braucht sich ja nur die Gesichter mancher Volksvertreter anzusehen. Und denen ziehe ich allemal vor, was ich gestern abend auf der Bühne oder vor der Bühne sah oder auch roch, als ich Stunden später durchs menschenleere Steintor radelte, im Kopf noch immer den Kalauer, den wir Kinder den Rattles zu verdanken hatten: „Come on and schtink, come on and schtink, nanaa na nana nanaa nanaa …“

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2 Responses to “„Come on and schtink“”

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  2. knoxx sagt:

    Kannsja verstehen Hella Kind, war aber nicht dabei…zu müde & heiss, diese Breminale.. ..die ganzen Oldies Revivals nerven mich manchmal auch,…jedoch wem es Spass macht…??? Ich hab sowieso das Gefühl, manche sind schon als Oldies geboren. Ps Billy Idol hat vor drei Jahren im Hamburger Stadtpark ein geiles Konzert hingelegt wird, Fehlfarben hab ich bei 25 Jahre TAz im Tempodrom auch ganz funkig gesehen, Prince soll in Berlin das Konzert seines Lebens gebracht haben, son Shit, wär gern dabei gewesen, und Stones bleiben eben Stones-zum Beweis..see „Shine a ligt“ oder den neuen remix von „exile on mainstreet“,…RocknRoll ist tatsächlich auch ein Jungbrunnen und keine Sache nur für pubertierende Rotzlöffel.

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