Stell dir vor, sie gäben einen Film …

Autor: hella

… und keiner sähe hin. Aber es werden ganz gewiß Millionen vor der Glotze hocken, wenn vor Weihnachten zum erstenmal der Film Neue Vahr Süd gesendet wird. Schon vor Beginn der Dreharbeiten wurde viel darüber geschrieben, halb Bremen fand sich zum Casting ein, und gestern, am ersten Drehtag, manch einer am Sielwall, um sich in Nostalgie zu suhlen oder mal zu kucken, wie es früher war. Doch was gab es dort zu sehen?

Stell dir vor, es wäre 1980, und es lägen keine Punks am Eck und söffen Hansa-Pils. Wer das Viertel von damals her kennt, der kann es sich nicht vorstellen, genausowenig wie ein dealerfreies Viertel. Und wer schon damals lesen konnte, der hat noch nie auf einem Transparent  gelesen, was gestern darauf zu lesen war: Stell dir vor sie gäben einen Krieg und keiner käme!

Sielwall-Eck, Filmdreh, 2. Mai 2010 (Foto: hella)

Stellt euch das mal vor! (Foto: hella)

So ungemein authentisch wie das Transparent wirkten denn auch die Komparsen in ihren grotesken Kostümierungen. Echte Bremer Typen? Repräsentativ für jene Zeit? Denn bin ich ja man wohl im falschen Film, hätte ich gedacht, wüßt‘ ich nicht schon lange, welch immense Schwierigkeiten auffallend viele junge deutsche Filmemacher damit haben, Atmosphäre zu schaffen; ganz anders als etwa ihre britischen Kollegen in Low-Budget-Produktionen wie This Is England. Da stimmt alles; da wirkt nichts gekünstelt und steril. Woran mag das liegen? Ach! ich ahne es und habe es gegen Ende der 80er Jahre auch einmal geschrieben, in einem Aufsatz über die Identitätsprobleme von Bremer Rockmusikern.

À propos Musiker. Mein Mitblogger Knoxx hat vor 2 Wochen mit Recht bemäkelt, daß man ihn nicht als Zeitzeugen befragt hat. Der einst so gute Kontakt von Radio Bremen zu den Bremern ist nicht mehr, was er noch 1980, ja sogar noch 1990 war. Davon kann auch und gerade ich diverse Lieder singen; in einem kommt Sven Regener vor. Dessen Buch, das nun verfilmt wird, ist übrigens das schwächste seiner sog. Lehmann-Trilogie und nicht eben eine Ehre für unsere Stadt, die darin als ein ödes Nest erscheint, das sie gerade um 1980 nicht war. Und dennoch sagt Frank Lehmann im vorletzten Abschnitt des Romans: „Laß uns bloß abhauen aus dem Puff hier.“

Ei freilich, die Romanfigur ist nicht der Autor. Doch der setzt seinem Protagonisten kein anderes Bremen entgegen: jedenfalls nicht die Stadt, die knoxx und ich damals erlebt und andere zum Glück fotografiert haben. Wer wissen will, was für Leute zu Beginn der 80er Jahre tatsächlich im Viertel herumliefen, der tue sich im Fotostream von Thomas Meyer um. Dort sind auch ein paar Bilder von A 5 (mit dem unsterblichen Ego/N und Knoxx on drums) zu finden; und eines der seltenen Fotos jener Zeit, worauf ich am Schlagzeug zu sehen bin. Wer damals noch halbwegs jung war und sich in dieser Stadt gelangweilt hat, der muß nicht bei Sinnen gewesen sein.

Nun aber wird dieser Film gedreht, und wenn es so weitergeht, dann drehe ich am Rad.

Filmdreh am Sielwall-Eck, 2. Mai 2010 (Foto: hella)

So bunt ist Bremen heute, dank der Fernsehleute. (Foto: hella)

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12 Responses to “Stell dir vor, sie gäben einen Film …”

  1. knoxx sagt:

    Bravo Hella, das hast du gut zurechtgerückt. So war das Eck damals nicht. Du hast Recht, die deutschen Jungfilmer ..und auch die alten , siehe Breloer tun sich schwer mit der Aussattung oder erschöpfen sich in Ihr., na ja…“Süd“ ist für mich auch relativ belanglos. Der Sven war damals wohl in einem ganz anderen Film….und tat wohl gut daran schnell Richtung Berlin zu verschwinden , bevor seine Miesepetrigkeit bei uns noch eine Epidemie ausgelöst hätte. Mann, 79/80 das war doch so geil ,und kreativ, die K-Gruppenfrage hatte sich vor Lichtjahren erledigt, wir waren Spontis, Hausbesetzer, punks, und Drogenforscher. Ich hatte drei , vier Jobs gleichzeitig, spielte in ein bis 2 bands . schmiss dann ab mÄrz 80 mit Barry den „Römer“ …und Mai 80, die Demo ,..boah***da war Stimmung***,…..das Cinema hatte übrigens damals schon ein Cafe oben, das weiss ich, weil ich dort mal bis 80 Kartenabreisser bei den langen Filmnächten war…Also der Sven hätte statt ins Story mal öfters inn Römer kommen sollen. und dann spielten wir im Sommer 80 beim Breminale -Vorläufer „Weserlust“ ,…das ein Hammer. Neee, nee 79/80 war ganz anners, nämlich spannend und chaotisch.

  2. hella sagt:

    Ja, so war das: sogar in Göttingen, und das will was heißen. Es war eine Abschieds- und Aufbruchszeit zugleich, und dafür gibt es unzählige Dokumente. Nicht umsonst haben Hans-A-Plast ja damals vom Tanz auf dem Vulkan gesungen. Ich war in jenem Sommer übrigens in Berlin: und dort war es im Prinzip nicht sehr viel anders als in Bremen, nur daß es ein paar mehr gute Plattenläden & Kneipen gab. Aber Auftritte neuer Bands? Das ging erst wieder im September los. Der Sommer war heiß & staubig, und wegen des saisonbedingten Mangels an Konzerten konnte ich mir neben Din-A-Testbild nur die Troggs ankucken, in einer lahmarschigen Kneipe mit dem Namen „Wir um 30“, haha.

    Regeners Roman ist wirklich an der damaligen Zeit vorbeigeschrieben; es kommen nicht einmal die Olympischen Spiele jenes Sommers darin vor: und das, obwohl sie in Moskau stattfanden, teilweise boykottiert wurden (hier hätte sich ein schöner Bezug zum neuen Krieg in Afghanistan einbauen lassen) und der Roman über weite Strecken vom Kasernenmilieu handelt. Die Medien aber gaukeln uns vor, das Buch und jetzt der Film seien ein „Sittengemälde der 80er Jahre“; ein Beispiel dafür, wie Geschichtsklitterung betrieben wird, hier nach dem alten Muster: das spannändä Bärlin und das langweilige Restdeutschland; ganz im Sinne von Gerd & Joschka und ihrer sogenannten Berliner Republik und dem Zeitgeist der nuller Jahre entsprechend. Auch dieser (kultur-) politischen Dimension wegen interessiere ich mich so sehr für die Rezeption von Regeners Delmenhorstroman.

  3. dosron sagt:

    Danke für die Story.

    Schön!

    (Fotos gucke ich mir morgen mal an)

  4. Anna sagt:

    Es muss auch immer wieder Leute geben, die alles besser wissen. Die den ganzen Tag nichts anderes zu tun, haben als der guten alten Zeit so wie sie echt und wirklich und überhaupt war, nach zu trauern. Geschichte ist immer Interpretation, und immer sepiafarben, weil man durch die Zeit zurück schaut. Wartet doch alle erstmal ab, bis der Film fertig ist und dann können wir schauen, ob er wirklich so schlecht und unauthentisch ist. Macht euch locker! Und macht euch einen schönen Tag.
    Anna

  5. hella sagt:

    Au ja, Anna, das ist eine gute Idee: erstmal abzuwarten, bis der Film fertig ist, und sich einen schönen Tag zu machen, so wie die anderen Menschen, die jetzt, ganz wie die Kinder am Heiligen Abend, auf dem Ölteppich sitzen und sich über ihre Sanierungspakete freuen.

  6. ursch sagt:

    ich verstehe gar nicht, dass ihr euch alle erinnern könnt, ich ihr ward doch sowieso die ganze zeit breit….

  7. hella sagt:

    @ursch:

    Ich zitiere dich (Hervorhebungen von mir):

    ich verstehe gar nicht, dass ihr euch alle erinnern könnt, ich ihr ward doch sowieso die ganze zeit breit….

    Haha!

  8. Kuddel sagt:

    Da ist wohl jemand traurig und neidisch dass er nicht mitspielen darf und auch nicht nach seiner Meinung gefragt wurde.
    Wobei es ja in SEINEM Viertel spielt 🙁

    So schlecht kannst du das Buch ja nicht gefunden haben. Denn um es zum schlechtesten der Triologie zu ernennen, musst du den Nachfolger ja auch noch gelesen haben.

    Dreh doch einfach deinen eigenen Film übers Steine und ich wette dann kommen zehn andere und versuchen auch dir IHR Viertel zu erklären.

    Werd erwachsen….

  9. knoxx sagt:

    claro, wir viel warn viel breit…viel Hansa Pils, aber wir warn revolutionär breit…und hin oder her, unsere Erinnerungen sind diesbezüglich ziemlich jung zumal sie durch die heutigen poltischen Entwicklungen immer wieder aufgefrischt werden….Hella hat insofern recht, Sven Regners Erinnerungen sind die“Erinnerungen eines Unpoiltischen“,- egal wie altbacken das klingt!

  10. […] Jüngeren, und das sogar rund um das Weserstadion. Aber, keine Bange! nicht in echt. Nur für den Film, der bis Mitte Mai gedreht wird. Wer geht denn schließlich noch auf eine Demo, wenn’s keine […]

  11. hella sagt:

    Joooh, Kuddel, um Bremen und sein Viertel wäre es besser bestellt, wüßten alle, daß das Steintor jetzt Steine heißt und man Triologie sagen muß und nicht Trilogie. Ich freue mich schon jetzt darauf, was alles du Bremen und dem Rest der Welt noch zu sagen haben wirst, auf deiner Website http://www.hauabmacker.de. Schließlich weckt dieser Domainname die allerhöchsten Erwartungen.

  12. Mark Eins sagt:

    Hallo Hella, kann mich auch noch sehr gut an den Sommer ´80 erinnern und freue mich das du in Berlin (damals noch West) DIN A TESTBILD gesehen hast. Glücklicherweise nicht in einem „wir um 30“ Laden, das waren dann doch eher die Troggs…

    Allerbeste Grüße aus „Neu Berlin“

    Mark Eins

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